Erzherzog Stephan als Standesherr auf Schloss Schaumburg
Die Menschen des Schaumburger Landes haben im Laufe der Geschichte viele Herren erlebt. Aus der langen Reihe der Grafen und Fürsten hat in der Region an der unteren Lahn vor allem ein Name bis in unsere Gegenwart hinein einen besonderen Klang behalten: Erzherzog Stephan, Seine Kaiserlich-Königliche Hoheit, Thronfolger der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Als der populäre Standesherr auf Schaumburg am 19.Februar 1867 - nach seiner rund 20-jährigen Regentschaft auf dem Schloss im Alter von 50 Jahren an einem unheilbaren Lungenleiden starb, hatten die Bewohner der kleinen Herrschaft das untrügliche Gefühl, einen guten Freund verloren zu haben.
Man sagt den Regenten früherer Jahrhunderte nicht zu unrecht nach, dass sie sich bei all ihrem Reichtum wenig um das Wohl ihrer Untertanen kümmerten, von deren Fronarbeit und Abgaben sie lebten. Erzherzog Stephan war, nach allem, was wir von ihm wissen, eine Ausnahme. Sein Verantwortungsbewusstsein und sein Verständnis für die kleinen Leute, seine durch Taten belegte soziale Einstellung, haben ihm schon zu seinen Lebzeiten den Ruf eines Wohltäters und eines Vaters der Armen eingebracht.
Stephan Viktor wurde am 14.09.1817 als Sohn von Erzherzog Joseph Anton und dessen zweiter Ehefrau Hermine von Anhalt-Bernburg-Schaumburg in Ofen (Buda), einem der beiden Teile der ungarischen Hauptstadt Budapest, geboren. Die Schaumburger Mutter, eine Tochter des Fürsten Victor Carl Friedrich von Anhalt-Schaumburg und dessen Ehefrau Amalie von Nassau-Weilburg, die er nie kennen gelernt hat, starb bei seiner Geburt im Kindbett. Hermine brachte ihrem Gemahl die Grafschaft Holzappel und die Herrschaft Schaumburg als Mitgift mit an die Donau. Zeitgenossen stellen übereinstimmend fest, dass sich die Landesmutter, in den nur zwei Jahren ihrer Ehe mit Erzherzog Joseph, dem Palatin (=Statthalter) der Österreichischen Doppelmonarchie in Ungarn, bei den Bewohnern von Budapest den Ruf einer Wohltäterin an den Bedürftigen erworben hat.
Der hoch begabte Stephan genoss in der Obhut seiner Stiefmutter Maria Dorothea, der dritten Gemahlin des Palatins Joseph, eine vorzügliche Erziehung und absolvierte in Wien ein Studium der Staatswissenschaften. Danach verbrachte der Enkel Kaiser Leopolds II. und Neffe von dessen Nachfolger, Kaiser Franz I., zwei Jahre am Wiener Hof. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa wurde der inzwischen 26-Jährige 1843 zum Landeschef (Zivilgouverneur) von Böhmen berufen. Nach dem Tod seines Vaters, Erzherzog Joseph, trat Stephan 1847 dessen Nachfolge als königlicher Palatin in Ungarn an. Wie zuvor in Böhmen erfreute er sich auch hier aufgrund seiner Volksnähe besonderer Beliebtheit.
Eine schicksalhafte Wende im Leben des jungen Statthalters in Ungarn markiert das Revolutionsjahr 1848. Der Ausbruch der Bürgerbewegung in Mitteleuropa, die auch die nach Freiheit und Unabhängigkeit strebenden politischen Kräfte in Ungarn beflügelte, brachte die Karriere und die Lebensplanung des jungen Palatins ins Wanken. Erzherzog Stephan zeigte Verständnis für die Freiheitsbestrebungen der Ungarn mit dem Ruf nach einer weitgehenden Selbstständigkeit des Landes und überreichte dem Kaiser persönlich die entsprechenden Forderungen des ungarischen Reichstages. In dem Bestreben, eine Mittlerrolle zwischen den Nationalrevolutionären in Ungarn und den Interessen des Wiener Kaiserhofs zu übernehmen, setzte er sich zwischen alle Stühle und erntete den Argwohn von beiden Seiten. In Wien bezichtigte man ihn - ganz zu Unrecht, wie sich später erwies – die Loslösung Ungarns von Österreich zu betreiben und die dortige Königskrone anzustreben.
In dieser ausweglosen Situation, vom Kaiserhof ultimativ zur Abdankung aufgefordert, verließ der Erzherzog am 22.September 1848 heimlich die ungarische Hauptstadt. Drei Tage später, am 25.September, dankte er offiziell als Statthalter Wiens in Ungarn ab und zog sich aus dem politischen Hexenkessel der Donau-Monarchie auf die von seiner Mutter Hermine ererbte, weitaus beschaulichere Schaumburg an der Lahn zurück.
Mit der Regentschaft des Erzherzogs auf Schloss Schaumburg bei Balduinstein begann für die Standesherrschaft eine neue Ära, die bis in die Gegenwart nachwirkt. Der unverheiratet gebliebene Erzherzog widmete sich neben seinen Pflichten als Landesvater mit leidenschaftlicher Hingabe seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Neigungen. Stephans besonderes Interesse galt der Geologie, der Mineralogie und der Botanik, daneben auch der Baukunst, der Malerei und der Musik. Überzeugende Belege sind Schaumburger Sammlungen, darunter eine wertvolle Bibliothek mit etwa 24.000 Bänden und eine einzigartige Mineralien-Sammlung mit rund 15.000 Gesteinsstufen aus aller Welt.
Dem universal gebildeten neuen Schlossherrn - Stephan fühlte sich in mehreren europäischen Sprachen zu Hause - war es zuzuschreiben, dass der gesellschaftliche Verkehr auf der Schaumburg in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts merklich zunahm. Neben den zahlreichen Besuchen seiner hochgestellten Verwandten aus verschiedenen europäischen Staaten - Stephans Stiefschwester Marie zum Beispiel war mit dem König von Belgien vermählt - waren es vor allem Gelehrte, Botaniker und Mineralogen, die auf der Schaumburg Einkehr hielten, um die außergewöhnlichen Sammlungen zu besichtigen und wissenschaftliche Gespräche mit dem gastfreundlichen Hausherrn zu führen.
Die umfassenden Um- und Neubau-Maßnahmen der Jahre 1850 bis 1855 taten das ihre, um die Anziehungskraft des Schlosses auf dem Basaltkegel hoch über der Lahn zu erhöhen. Dabei erhielt das Schloss, vor allem durch einen Erweiterungsbau im englisch-neugotischen Stil, dem Stephan-Bau, eine zu seinem Vorteil veränderte Gestalt. Der alles überragende Hauptturm (Stephans-Turm), einer von insgesamt vier zinnenbewehrten Türmen des neuen Schlosses, erreichte mit seiner Kugelspitze über der luftigen Aussichtsplattform, die Höhe von 336,7 Meter über dem Amsterdamer Pegel. Neben dem Schlossgebäude wurden zugleich die gesamten Außenanlagen - Fürsten-Garten (mit Wintergarten), Prinzessinnen-Garten, Palmenhaus, Gartenhaus und Marstall neu gestaltet. Außerdem sorgte der Erzherzog für den Ausbau der Straßenverbindung von Balduinstein über den Thalhof zum Schloss sowie für die Reinigung und Neugestaltung der drei Weiher im damaligen Wiesental oberhalb des Thalhofs. Die Kosten der umfangreichen baulichen Veränderungen konnten weitgehend durch den Verkauf des Holzappeler Erzbergwerks an eine französisch-englische Gesellschaft abgedeckt werden.
Die soziale Einstellung des populären Erzherzogs wird insbesondere durch beachtliche Stiftungen unter Beweis gestellt, die er selbst ins Leben rief oder mit erheblichen Einlagen weiterführte. Im Jahre 1851 stockte er die Amalien-Stiftung, die auf seine von ihm besonders geliebte und verehrte Großmutter, die Fürstin Amalie von Schaumburg (1812-1841), zurück ging, mit 10.000 Gulden auf, um bedürftigen und benachteiligten Kindern im Schaumburger Land das Erlernen eines Berufes und damit eine Existenzgrundlage zu schaffen. Ein weiterer Beweis für die fürsorgliche Einstellung des Regenten gegenüber seinen Untertanen war die Stephan-Peter-Stiftung mit einem verzinslichen Anfangskapital von 20.000 Gulden für in Not geratene Bergmannswitwen und –waisen.
Mit besonderer Aufmerksamkeit widmete sich Stephan der Unterstützung der Schulen in seinem Standesgebiet. In allen Einzelheiten überliefert ist seine Teilnahme an den damals üblichen „Frühjahrs- und Herbstprüfungen“, verbunden mit Geschenken für die jeweils fleißigsten Schülerinnen und Schüler.